Craftbier wörtlich übersetzt als handwerklich gebrautes Bier, wird häufig mit kleinen, unabhängigen Brauereien in Verbindung gebracht. Diese Biere zeichnen sich durch Kreativität und die Verwendung regionaler Zutaten sowie traditioneller Braumethoden aus. Doch ist das wirklich immer der Fall?
1. Was sind die Hauptunterschiede zwischen Craftbier und „normalen“ Bier?
Gemeinhin bezeichnet „normales“ Bier ein industriell hergestelltes Bier, meist im großen Stil und auf sehr großen Anlagen. Craftbier als solches wird mal als Kraftbier, Craftbeer, Craft Bier, Kreativbier, Artisanales Bier oder auch handcrafted beer geschrieben. Es meint jedoch immer das Gleiche: ein Gebräu mit handwerklicher Herstellung. ABER in Deutschland haben wir viele kleine und mittelständischen Gasthofbrauereien, die schon teilweise seit Jahrhunderten Biere mit viel Handwerks Arbeit herstellen. Sind diese nun Craftbier Hersteller, obwohl sie „normale“ Biere wie Pils, Helles, Dunkles oder Kellerbiere anbieten?
Wurzeln des Craftbier
Für eine Erklärung müssen wir über den großen Teich in die USA schauen. Der Entstehung des Craftbier Trends. Denn hier entwickelte sich zwar Anfang des 20ten Jahrhundert ein stetiger Durst nach Bier, der durch immer größer werdende Brauereien von Ost nach West bedient wurde. Aber das Bier entwickelte sich zum Mainstream: ein immer gleiches schmeckendes Bräu von gleicher Qualität zu günstigen Preisen konnte im ganzen Land gekauft und verkauft werden. Wunderbar für die Konzerne! Schlimm für den Biergeschmack! Katastrophal für die Vielfalt! Ende 1970 waren in den ganzen USA nur noch 89 Brauereien in der Hand von 42 Braukonzernen ansässig. Alle mit industrieller Herstellung und auf Massengeschmack ausgerichteten Bieren.
Definition Craftbier
Als 1979 der damalige Präsident der USA Jimmy Carter per Gesetz das Heimbrauen legalisierte, entstand ein Hype sondergleichen. Das Bierbrauen zu Hause startet, die Hobbybrauer und Heimbrauerinnen entwickelten sich zu Craft Beer Brauereien, Taprooms, Mikro- und Gasthausbrauereien. In den Anfängen autodidaktisch, später unterstützt durch eine Vielzahl von Initiativen und Branchengröße wie einem Garrett Oliver – Craftbier Brauer und Buchautor. Auch die Konsumenten waren bereit etwas anders auszuprobieren. Heutzutage (Stand 2023 laut der Brewers Association – Craft Brewer Definition – Brewers Association ) finden wir in den USA 9528 Brauereien, davon sind 9358 als Craftbier Brauereien deklariert. Und das ist unter anderem wie folgt definiert:
1. Die Jahresproduktion muss kleiner als 6 Millionen Barrels (Hinweis: 1 Barrel = 119 Liter) sein. Das sind ca. 7 Millionen Hektoliter = 714.000.000 Liter.
2. 25% der Anteil an der Brauerei dürfen nur von einem nicht Craft Brewer kontrolliert werden.
3. Die eigene Biermarke muss in den USA gebraut werden.
4. Es muss traditionell gebraut werden im Schwerpunkt mit Gerstenmalz mit wenig bis keinem Mais- oder Reisanteil, wie es in den Industriebieren zu finden war.
Kleines Schmankerl: die American Brewers Association ist ein Non Profit Verband von Brauer für Brauer, der seine Aufgabe sieht, „… to build the community of craft brewers in the greatest country for beer in the world…“ eine Gemeinschaft der Craftbier Brauer aufzubauen in dem tollsten Land des Bier in der Welt!!
Craftbier Definition in Deutschland
Auf dem deutschem Markt befindet sich genau 3 Brauereien, die mehr als 7,14 Mio. hl Bier brauen: Radeberger Gruppe, AB InBev Deutschland mit Beck’s, Hasseröder, Löwenbräu und die Oettinger Brauerei. Alle anderen Brauereien, also 1504 Brauereien genau genommen, produzieren wenig als 7mio hl. Unfassbar! Somit können wir allein schon von der Absatzgröße die amerikanische Definition nicht übernehmen.
Viele Herstellungsbetriebe sind familiengeführte Haus- und Gasthausbrauereien und erfüllten somit die Voraussetzung Nummer 2. Selbst die Großen in Deutschland wie Radeberger und Oettinger sind familiengeführt oder in familienhand.
Das Deutsche Reinheitsgebot besagt, dass in Deutschland mit Malz – meist Gerste und Weizenmalz – gebraut werden soll. Reis wie auch Mais sind eher die absolute Ausnahme. Somit trifft das 4. Kriterium über die genutzten Zutaten auf alle Brauereien in Deutschland zu. Auch dieser Punkt ist nur bedingt hilfreich für das Verständnis, was denn jetzt der Unterschied zwischen Craftbier Brauereien und Industriellen Brauereien bzw. zwischen Craftbier und „normalen“ Bier ist.
Bier Sommelièrs Definition von Craftbier
Für mich sind Craftbiere kreative Biere! Sie sind intensiv vom Geschmack, Craftbier Brauereien wagen Zutaten neu und anders einzusetzen, nehmen alte teilweise ganz alte Rezepte von schon in Vergessenheit geratenen Bierstilen und hauchen ihnen neues Leben ein. Diese Brauereien arbeiten handwerklich und mit naturbelassenen Rohstoffen. Sie geben dem Bier eine Seele. Gern auch vielfältig und abwechslungsreich.
2. Warum bevorzugen manche Menschen Craftbier gegenüber herkömmlichem Bier?
Craftbier wird bewusster verkostet und der Genießer probiert gern neue Sorten durch, die Entdeckung steht im Vordergrund. Unterschiedliche sowie neue Hersteller und die spannende Herkunft mit ihrer Geschichte dahinter sind wichtig; höhere Preise sind akzeptiert wie auch schwierige Beschaffungswege für Exklusivität und situative Limitierung. Insbesondere das letztere beflügelt den Durst und somit den Umsatz.
Herkömmliche Bier oder auch Industriebier werden als Feierabendbelohnung genutzt und als Stimmungswandler. Wunderbare kulturelle Ausprägungen wie das kölsche Wegbier in Köln sind gute Beispiele eines abendlichen Stimmungsaufhellers. Interessant: der enthaltende Hopfen im Bier beruhigt übrigens und somit ist diese Wirkung nicht nur Subjektiv. Weitere Aspekte bei Standardbieren ist natürlich die hohe Verfügbarkeit, niedriger Preis und meist moderater Alkohol bei 5% Alkohol, wenn wir ein Pils oder Helles nehmen.
3. Worin liegen die geschmacklichen Unterschiede zwischen Craftbier und herkömmlichem Bier?
Bei dieser Frage kommt es ganz auf die einzelnen Sorten und die Interpretation an. Ein Pils, sei es in kleinen craftigen Brauereien hergestellt oder auf Industrieanlagen unterscheidet sich nur dann geschmacklich, wenn Zutaten oder Herstellung unterschiedlich sind. Zum Beispiel bei längerer Reifezeit. Diese ausgiebige Phase wirkt sich positiv auf das Bier aus, die bessere CO² – Kohlensäure Integration lässt die Hopfenkaltschale frischer und vollmundiger erscheinen. Am Beispiel des untergärigen Pils wirken sich niedrigere Temperaturen beim Gärprozess geschmacklich klarer und reiner im Glas aus. Gibt die Brauerin dem Pils dann auch noch die Zeit bei 0°C zu reifen, hat der geneigte Trinker ein ausgeglichenes bekömmliches und im Abgang langanhaltendes Bier im Glas.
4. Wodurch unterscheidet sich der Brauprozess von Craftbier zu dem vom industriellen Bier?
Die Flexibilität im Brauprozess bei der Verwendung von herausfordernden Zutaten funktioniert bei kleineren Anlagen von Craftbier Brauereien deutlich besser. Wenn eine hohe Menge zum Beispiel an frischen Hopfendolden beim Kochen verwendet werden soll, kann es schnell die Sudpfanne von größeren Brauereien verstopfen oder zur Kapazitätsgrenze führen. Spätestens die Reinigung von den vielen kleinen Doldenresten ist zeitaufwändig – somit teuer – und die Entsorgung kostenintensiv.
In Italien zum Beispiel verwenden Craftbier Brauer gern für ihr Kastanienbier verschiedene Kastaniensorten in verschiedenen Verarbeitungsstadien. Sei es getrocknete, geräucherte, gekochte oder geröstete Kastanien. Gern kommen ganze und passierte Früchte wie Pfirsich, schwarze Johannisbeere und Kirsche ins Bier oder Gewürze wie Enzian und Koriander. Das Ganze wird dann noch inspiriert vom Weinanbau mit Weinhefen, Holzfasslagerung und eine Vergärung mit Traubenmost. Die Fertigstellung des Bieres endet in einer Craftbier Brauerei somit nicht mit der Reifung im Stahltank und die Abfüllung in Flaschen, sondern geht ein paar Schritte mehr während der Herstellung, Veredelung und Lagerung. DAS schmecken wir dann im Glas!
5. Weshalb ist Craftbier oft teurer als normales Bier?
Der Preisunterschied zwischen Craftbier und industriell hergestellten Bieren finden wir somit in dem aufwendigeren Prozess, Auswahl und Exklusivität der Zutaten, geringen Herstellungsmenge, wenig Automatisierung und der teuren Logistik. Und Zeit! Bier braucht Zeit, die Zeit zu reifen, die Zeit die Aromen miteinander verschmelzen können. Zu dem Thema Zeit hat sich sogar ein eigenes Gütesiegel 2011 im deutschsprachigen Raum formiert: Slow Brewing – Das Gütesiegel für Bier (slow-brewing.com). Nur wer ohne nachträgliche Verdünnung des fertigen Bieres also „High Gravity Brewing“ arbeitet, Rohstoffe aus kontrolliertem Anbau nutzt und Fair zu Natur und allen Mitarbeitern ist, bekommt nach einem sehr strengen Audit dieses Siegel.
Dem Bier Zeit lassen bedeutet aber auch Belegung der Brauanlage, der Reifefässer und des Gärkellers und das kostet Geld. Preislich sind wir gewöhnlich bei €2 bis €6 die Flasche bzw. Dose bei Craftbier. Wenn wir dann die Angebotskultur der Deutschen beim Kastenbier von €10 daneben stellen, sollte sich jeder Konsument fragen, wie bitte schön hier noch die Brauerei verdienen kann. Eine Brauerei, die es vormacht ist Oettinger. Jedoch geben sie kein Geld für Marketing aus, nutzen ihre eigene Logistik und im Einkauf einen Riesenhebel bei den Mengenvorteilen.
6. Woran erkenne ich gutes Craftbier?
Ein guter Start in das Verständnis und die Welt der Craftbiere geht über ein Bier Tasting.
Professionelle Tastings mit einer Bier Sommelière
In meinen Tastings verkosten wir Biere professionell und bewerten anhand der Farbe und des Schaums, des Aromas, dem Antrunk, der Rezenz sowie dem Abgang. Diese Merkmale definieren nicht nur die Qualität eines Bieres, sie geben die Struktur für den Bierstil. Sofern nicht direkt bei mir verkostet werden kann, empfehle ich den Besuch eines Bier Spezialitäten Shops wie sie meist in Großstädten zu finden sind.
Die Landeier unter uns haben es schon ein weniger schwieriger. Bei mir direkt im beschaulichen Örtchen Odenthal gibt es maximal im lokalen Getränkehändler eine klitzekleine Auswahl an besonderen Bieren. Die nächste größere Auswahl ist dann in Köln, Bonn oder in Düsseldorf zu finden. Hier und da finden wir Bier Perlen wie in Leverkusen Quettingen direkt neben dem Sportplatz in einer Seitenstraße den Getränkehändler Armin Kotterheidt – nur 10km von mir entfernt. Ursprünglich fokussierte Armin auf bayrische Bierspezialitäten. Mittlerweile findet sich auch Craftbiere aus Deutschland sowie von unseren Nachbarländern im Regal.
Bier Awards und Bier Prämierungen
Weitere Möglichkeiten gutes Craftbier zu erkennen, sind die Auszeichnungen die teilweise weltweit vergeben werden. Awards wie der renommierte World Beer Award, der European Beer Cup, Finest Beer Selection oder die International Frankfurt Trophy können dabei helfen qualifizierte Entscheidungen zu treffen. Gewöhnlich recht prominent auf den Flaschen oder Dosen dargestellt, und von Bier Sommelièrs, Brauerinnen und Expertinnen der Branche in einem Wettbewerb verkostet.
Wer denkt, “Wow, was für ein Traumjob!”, dem muss ich sagen: Ja, aber es ist auch harte Arbeit. Bis zu 70 verschiedene Biere an einem Tag zu verkosten, die Geschmacksknospen wach zu halten und sich nicht von ungewöhnlichen Aromen beeinflussen zu lassen, ist eine Herausforderung. Noch schwieriger ist es, bei den wirklich herausragenden Bieren nicht mehr als einen Schluck zu nehmen. Ich hatte bereits mehrfach das Vergnügen, an Wettbewerben teilzunehmen. Es ist immer wieder spannend und erhellend, welche Kreationen ins Glas kommen. Noch spannender empfinde ich die Diskussion am Jurytisch, warum wer zu welchem Entschluss und Bewertung gekommen ist. Insbesondere auf internationaler Ebene horizonterweiternd!
7. Häufigkeit neuer Craftbier Sorte auf dem Markt
Die Häufigkeit der sogenannten Releases geht von … bis.. . Das kommt natürlich auf die Kapazität der Brauerei an, insbesondere die Reifetank Kapazität. Kleinere Brauereien können ca. 2 Mal im Jahr ganz neue Sorten auf den Markt bringen. Jedoch: das Standardbier im Programm oder auf der Karte wird zuerst bedient. Andere Brauereien, die als Gypsy oder auch Fremdbrauer sich einmieten, können vielfältiger und häufiger Craftbier Neuheiten anbieten. Hierbei sind 2 bis 3 neue Sorten in einem Monat möglich. Dabei sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Meine letzte schräge Entdeckung eines Craftbieres: das Pirate’s Treasure von der polnischen Brauerei NEPO in Zusammenarbeit mit einer Katalonischen Brauerei La Pirata. Ein Craftbier mit Pfirsich + Passionsfrucht + Orange als Imperial (also besonders intensiv und Alkoholstark) bezeichnet als Sangria Gose. Was für eine Geschmacksexplosion!
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